Bijan Kafi


Online
Ausblicke in die Medienzukunft
in: Praxis Anthroposophie, Bd. 68,
Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2000, 187 S.


Das Buch in drei Teilen mit insgesamt 14 Kapiteln erscheint in der Reihe "Praxis Anthroposophie" und der Autor schreibt direkt im Vorwort, dass er sich infolge mangelnder Erfahrung, Kompetenz und Sachkenntnis nicht am anthroposophisch-wissenschaftlichen Diskurs beteiligen will (S. 10). Wer darüber stolpert, wird den Rest wahrscheinlich mit gemischten Gefühlen lesen.

Verspricht der Titel "online" eine Durchdringung einer vernetzten Kultur, oder etwas kleiner, einer Waldorfschulumgebung am Computernetz? Der Leser wird mächtig auf die Folter gespannt, denn Kafi resümiert im ersten Teil des Buches erst einmal über die Technik im allgemeinen.

Im 3. Kapitel werden Thesen von Jaspers und Postman (beide 20 Jh.) diskutiert, im 4. Kapitel Gedanken von La Mettrie und Leibniz (17./16. Jh.). Damit ist für Kafi ein Grundgerüst geschaffen zur Frage nach der Ethik der Technik allgemein. Der vorletzte Satz des ersten Teils definiert dann recht plötzlich: "das Internet ist kein Werkzeug zur Lösung einer bestimmten klar definierten Aufgabe, sondern Lebens- und Erlebnisumfeld." - von’ online’ war bisher keine Rede.


Der zweite Teil ist überschrieben mit "Das Gesicht eines Zeitphänomens" und beschäftigt sich etwas näher mit dem eigentlichen Thema - das Internet als Erweiterung der klassischen Medien um das Element der Interaktivität (S. 66). Auf den folgenden Seiten findet man dann immer wieder Statements zur Wesenheit des Internets, ohne dass dies im Detail belegt wird. Der Leser kann damit dem Autor entweder gefühlsmäßig folgen oder dies eben bleiben lassen. Weil die Begründung fehlt, hängen die Urteile in der Luft. Trotzdem sind einzelne Gedankengänge gut und tiefgehend. Auf S. 74 wird behauptet, dass La Mettrie und Leibniz auf Abruf bereitstehen würden (wohl im Internet), aber jeder Nachweis unterbleibt. Wer jetzt hinten unter den ‘weiteren Quellen’ nachblättert, findet unter 8 Internetadressen 6 zur anthroposophischen Eigenwerbung und wird vielleicht etwas ärgerlich, wenn er tiefergehendes erwartet hatte, wie beispielsweise wenigstens eine URL (Internetadresse gleichwertig zu Literaturvermerk) zu Leibniz oder La Mettrie. Wer mit dem Internet vertraut ist und eine Suchmaschine bemüht, stößt bei ‘la mettrie’ schnell auf die Adresse: http://lsr-projekt.de/lm1.html und kann auf dem Bildschirm näheres von und über den Autor lesen. Das 6. Kapitel erläutert das Internet bezüglich des technischen Aufbaus und schildert dann den Mensch in der Interaktion und die sich daraus ergebenden sozialen Konsequenzen. Dies konnte ich mit Interesse lesen, wurde aber im 7. Kapitel prompt desillusioniert, als ein Prozessor als ein Stück Plastik und Blech beschrieben wurde (S. 90). Ich schließe daraus, dass der Autor nie einen in der Hand hatte, sonst hätte er gemerkt, dass es Keramik und Silizium ist (oder er hat den Prozessor mit dem Kühlkörper plus Ventilator verwechselt?). Fünf Seiten weiter lese ich dann unmotiviert "Die ‘embedded systems’ sind Vorboten einer perfekten Vernetzung des Menschen mit seinem Fetisch". Ich muß gestehen, dass ich ab diesem Zeitpunkt das Buch bezüglich seiner Sprachbilder nicht mehr positiv beurteilen konnte.


Der 3. Teil trägt die Überschrift "Zukunft für die Medienwelt" und dementsprechend hoch ist die Erwartungshaltung. Kommt jetzt eine große Vision, ein Bild über einen verträglichen Umgang mit den Medien - stillschweigend erwarte ich interaktive Medien. Auf S. 124 beschreibt Kafi, was Schüler ganz automatisch lernen werden. Hier spürt man die eigene Erfahrung des Autors durch, wenn er schreibt, dass alle Computer(programm)prozesse und damit auch die Bedienung letztlich nach demselben Muster ablaufen. Er urteilt dann, dass nicht der Erwerb von Fertigkeiten, sondern die bewußte Aneignung von Fundamentalfähigkeiten immer bedeutungsvoller wird (S. 127), verrät aber nicht, welche er meint. Das 11. Kapitel widmet sich der Medienkompetenz ganz allgemein und geht am Ende auch aufs Internet ein. Es wird dem Generalthema durchaus gerecht. Die drei letzten Kapitel allerdings entfernen sich so weit vom Computer überhaupt, dass die Frage berechtigt ist, was sie in einem Buch mit dem Titel ‘online’ suchen.

Wer eine anthroposophische Vertiefung zum Internet erwartet, lasse das Buch besser auf dem Verkaufstisch liegen, weil er enttäuscht wird, wie der Autor selbst dies auch im Vorwort sinngemäß andeutet.

Was wäre dem Verlag zu raten? Aus 3 von 14 Kapiteln (6, 10, 11) ein Kompendium zu machen und den Buchtitel ändern - er weckt Hoffnungen, die nicht erfüllt werden. Seit über 20 Jahren rezensiere ich regelmäßig Bücher - noch nie gab ich das Urteil, der Verlag hätte das Buch besser im Lektorat liegen lassen: Für alles muss es wohl ein erstes Mal geben!


Wolfgang Creyaufmüller, Aachen

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