Ulrich W. Hallier / Brigitte C Hallier

Rundköpfe als Punzer und Maler - die ersten Felsbildkünstler der Sahara?
Untersuchungen auf Grund neuer Felsbildfunde in der Süd-Sahara, Bd. 4
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1999, 313 S., 24 Farbabb., 10 SW-Abb., 85 Fig. plus 12 weitere Farbabb. und diverse Fig. in den Anhängen.

 

Eigentlich ist das Buch ja eine Monographie, andererseits greift es vielfach auf die zuvor erschienenen Bände 1-3 zurück und steht mit ihnen in innigem Zusammenhang. Wie schon in den vorausgegangenen Bänden werden die Fundplätze nach einem besonderen Merkmal des Ortes oder Bildes benannt und die genauen Ortsangaben verschwiegen. Dies wird pauschal mit „Denkmalschutz“ (S. 14) begründet. Aus ähnlichen Gründen fehlen im Buch auch jegliche Karten. Man braucht also einen eigenen Fundus, um die Details des Werkes auszuwerten.

Etwas vage kann aber mitgeteilt werden, dass die Felsbildstationen in der südöstlichen Zentralsahara liegen, im Djado-Plateau und in Wadis der östlichen Tassiliausläufer (Südlibyen, Nordtschad etwa). Ich betrachte  es trotz obiger Begründung als großes Manko, dass Karten und präzise Ortsangaben fehlen oder verschleiert sind - zumal Hallier beim Zitieren anderer durchaus die Orte nennt ...

Zentrales Thema des Buches ist die exakte Beschreibung, Bebilderung und Umzeichnung von insgesamt 10 Fundstellen, wovon dem „Heinzelmännchen-Abri“ besonders viel Raum gewährt wird. Als Urheber der Bilder gelten die „Rundkopfleute“ oder „Rundköpfe“ - „...sie machen eine negride Herkunft oder zumindest einen negroiden Charakter dieser Gruppe oder Ethnie sehr wahrscheinlich.“ (S. 19). Ursprünglich gebrauchte Henri Lhote diesen Begriff für Menschendarstellungen im Tassili, bei denen der Kopf ohne Hals direkt am Rumpf hängt. Einzelne hier präsentierte Bilder dieser Art sind allerdings so weit von der menschlichen Gestalt entfernt, dass sie genau so gut als Umriss einer ausgespannten Tierhaut interpretiert werden könnten (siehe S. 174, SW-Abb. VII) mit einer sogenannten menschlichen Figur aus dem „Abri des Gelben Mannes“.

Man muss manchmal dem Autor schon bereitwillig folgen, um seine Deutung einer gewissen Form noch als Menschenbild zu akzeptieren. Noch ein Beispiel: Es gibt Darstellungen, wo die Kopfform etwa ein spitzwinkliges Dreieck ist, das direkt vom Schultergürtel nach oben geht. Da ich in der Besprechung kein Bild wiedergeben kann, muss ein Vergleich genügen, der die Phantasie ein wenig beansprucht: In den USA begeben sich die Mitglieder des Ku-Klux-Clans mindestens einmal im Jahr zu einem Umzug auf die Straße. Sie tragen etwa halbmeterhohe, spitze Kegelmützen und verhüllen den Körper bis zum Boden mit einer Kutte. Die Umrisslinie einer derartigen Figur ist nur entfernt menschenähnlich, wird aber bei Felsbildern als Mensch interpretiert. Der Name „Heinzelmännchen-Abri“ wird von dieser Darstellung abgeleitet. Nebenbei: Fast alle Darstellungen sind augenlos. Dies erwähnt Hallier zwar, legt aber bei der Interpretation kaum sein Augenmerk darauf.

Die Gefahr der Merkmalsübertragung im Auge (dass alle Bilder mit runden Köpfen als „Rundköpfe“ bezeichnet werden) diskutiert Hallier im 4. Kapitel den „Rundkopf“-Begriff, ohne ihn aber selbst zu präzisieren (dies erfolgt als Zusammenfassung in Kapitel 41). Etwas vage wird dem Leser langsam deutlich, dass sowohl ein Darstellungsstil als auch ein Zeithorizont ausschlaggebend sind. Nachdem „Rundkopf“ anfangs nur mit Malerei in Verbindung gebracht wurde, belegt Hallier, dass ebenso Punzungen und auch wohl ausgemalte Punzungen zu diesem Stil gehören.

Was ist das zentrale Anliegen des Buches? Hallier versucht, durch die Publikation einen Brückenschlag zwischen der Zentralsahara und Nubien (z.B. Kap. 12). Hier erschwert das Fehlen einer Karte das Nachvollziehen der Argumente besonders. Wie stark hätte eine Darstellung eines Bootes mit Kabine (so zumindest die Interpretation) als Argument werden können, wenn deutlich werden würde, dass der Felsbildfundplatz vielleicht wirklich in der Uferregion eines Paläo-Tschad-Binnenmeeres gelegen haben könnte (Kap. 11 und 38). Wie wäre der Felsen von Taar Doi (Kap. 15; Angabe: Nord-Tibesti), der die Brücke Zentral-Sahara  -  Nubien verstärken sollte, einzuordnen?

Die Felsmalereien werden soweit es geht untersucht. Das bedeutet erst mal eine fotografische Dokumentation in verschiedenen Techniken: trockenes Bild bei Tag, angefeuchtetes Bild (zur Farbintensivierung) bei Tag, geblitztes Bild bei Nacht, Tag- und (geblitzte) Nachtbilder mit Infrarot-Film. Auf einer Farbfotoseite (Abb. 10, S. 42) sind die Ergebnisse für denselben Bildausschnitt wiedergegeben. Diese Grundlage benutzen die Autoren, um das Ensemble in die Einzelteile aufzulösen, weil normalerweise mehrere Bildschichten übereinander liegen. Dieser schwierigen Arbeit unterzog sich Brigitte Hallier, die sehr genau die Einzelbilder umzeichnete. Jede Andeutung eines Striches, einer Punzung wurde erfasst. Als Leser kann man sich von der einzigartigen Qualität überzeugen, weil genügend Fotomaterial für die Vergleiche zur Verfügung gestellt ist und nicht einzelne Teile herausgegriffen werden. Vollständigkeit wurde angestrebt und wohl erreicht. Im begleitenden Text liefert Ulrich Hallier die Beschreibung und, darin eingearbeitet, seine Bildinterpretation, häufig auch vermischt mit Diskussion. Auffallend sind hier die vielen Abgrenzungen zu den Veröffentlichungen von Alfred Muzzolini.

Uninterpretiert bleiben Felseintiefungen: Löcher , Näpfe und besonders eindrucksvoll, eine kreisrunde, flache Eintiefung von 75 cm Durchmesser (dem Foto 16 von S. 48 nach liegt sie heute annähernd horizontal). Eine spannende Frage bleibt für mich: Was würde geschehen, wenn man Wasser einfüllt? Diese Frage wird durch den Fund von mit Ockerstreifen bemalten Steinen vertieft. Einige davon sind ehemalige Reibsteine, die nach der Bemalung nie mehr benutzt wurden (S. 50, 158). Welchem Zweck, Kultus oder Zeitvertreib diente dies wohl?

In den Schlusskapiteln 41-44 konzentriert sich Hallier nochmals auf die mögliche Wechselbeziehung zwischen Djado - Tassili einerseits, Djado - Nubien andererseits und trägt gesammelt die Argumente vor, die seiner Einstufung der „Rundköpfe“ als früheste bildschaffende Menschen der Sahara entsprechen: Kolorierte Bilder auf gepunztem Felsuntergrund standen vielleicht am Anfang, reine Malerei und ausschließlich gepunzte Bilder mögen sich daraus entwickelt haben. Zur Zeit spricht nach Hallier mehr für eine Ausbreitung der Menschen und der Kunst von Nubien in die damals weniger wüstenhafte Zentralsahara als umgekehrt.

Nach dem Ende des Hauptteils folgen im letzten Drittel des Buches verschiedene Anhänge. Als erstes kommt eine sehr ausführliche, kritische Besprechung wichtiger Werke anderer Autoren zum Thema (Breuil / Lhote / Muzzolini / Tauveron / Sansoni) aus den Jahren 1955 bis 1995. Diese Seiten (S. 204-240) machen auch Halliers Standpunkt und seine Abgrenzungen zu den anderen Autoren nochmals deutlich.

In den Anmerkungen (S. 241-243) sind viele Begriffsklärungen versteckt, die vielleicht einen besseren Platz in einem eigenen Kapitel zu Beginn des Werkes gefunden hätten.

Die Literaturliste (S. 244-254) lässt kaum Wünsche offen! Die 731 Fußnoten verweisen gewissenhaft.

In den eigentlichen Anhängen (Appendix 1-3) findet man zuerst eine Tafel aller 156 neuen Felsbild-Fundstellen mit Band-, Seiten- und Abbildungsverweisen - eine Referenz auf die 3 Vorgängerbände.

Appendix 2 beschreibt eine bedeutende Fundstelle in Südlibyen (Plateau des Messak) und 109 Publikationen zu diesem Thema aus den Jahren 1857 - 1998.

Appendix 3 (S. 265-313) widmet sich neu gefundenen Felsbildern in SW-Libyen (Wadi Aramat). Dieser Aufsatz ist ganz eigenständig, hat einen eigene Farbtafelteil, eigene Literaturliste und erscheint an anderer Stelle auch auf CD-ROM. Abgesehen davon, dass er thematisch nicht zum Buch gehört, enthält er hervorragende Bilder überwiegend von Felsmalereien.

Zusammenfassung: Vom vorgestellten Bildmaterial her ein herausragendes Werk. Ich möchte hier nochmals die sehr gute Umzeichenarbeit der Koautorin Brigitte Hallier ausdrücklich erwähnen. Bei der Interpretation der Bildinhalte konnte ich dem Autor nicht immer folgen, die Kollegenkritik nahm nach meinem Empfinden einen zu großen Raum ein (nicht die abschließende, ausführliche Besprechung, sondern die vielen kleine Seitenhiebe im Fließtext). Das Gesamtprojekt erweitert unsere Kenntnis über die Sahara-Felsbilder beträchtlich und ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg einer Vergangenheits- und Kulturrekonstruktion.

Vielleicht findet Hallier ja selbst den Weg zu einem derartigen Überblicksprojekt - es wäre an der Zeit ...

Nachbemerkung: Einen kurzen, prägnanten Aufsatz zum Thema publizierte Hallier in der Naturwissenschaftlichen Rundschau, (NR 625, Heft 7/2000, S. 337-340), in dem er auch wichtige Bilder des oben besprochenen Buches verwendete. Alle wichtigen Aspekte werden auf wenigen Seiten abgehandelt, die Nordafrika-Karte ist von 1924!!

 

(Wolfgang Creyaufmüller)

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