Christoph Göpfert (Hrsg.)

Das lebendige Wesen der Erde - Zum Geographieunterricht der Oberstufe

in: Menschenkunde und Erziehung, Bd. 79

Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 1999, 223 S., viele Fotos, Abb., Karten und Skizzen


Das Buch von Christoph Göpfert ist ein Sammelband "zum Geographieunterricht der Oberstufe". Es umfaßt 14 Artikel. Zehn davon erschienen zwischen 1954 und 1997 in den Zeitschriften ‘Erziehungskunst’ (7) und ‘Die Drei’ (3). die Autoren dieser Aufsätze sind Wolfgang Schad (1), Andreas Suchantke (2), Giselher Wulff (1), Hans-Ulrich Schmutz (1), Walter Liebendörfer (1), Hermann Fink (1) und Christoph Göpfert (3). Die vier Originalbeiträge stammen aus der Feder von Dankmar Bosse (2), Klaus Rohrbach und Burckhardt Großbach.

Jedes dieser 14 Kapitel verdient eigentlich eine eigene Rezension und hat sie auch erhalten. Da der Gesamtumfang dadurch aber so anwuchs, dass es den Rahmen der Zeitschrift sprengen würde, haben sich Rezensent und Redaktion zu einem neuartigen Verfahren entschlossen: Hier folgt eine eingeschränkte Besprechung, die sich auf die Originalbeiträge konzentriert. Die Komplettversion ist als Datei im Internet einsehbar bzw. abrufbar unter folgender URL:

http://www.aliquot.de/publikat.htm über den Link am Seitenende.

Christoph Göpfert als Herausgeber gliederte das Buch in zwei Hauptkapitel, die er jeweils einleitete und er schickte dem Ganzen noch eine Einführung voraus, in der er unter anderem auch das Anliegen des Buches insgesamt erläuterte, nämlich " ... ein erweitertes Verständnis unseres Planeten zu erschließen und Anregungen zu geben, wie man eine solche Sichtweise für den Geographieunterricht der Oberstufe fruchtbar machen kann. Denn gerade Jugendliche bewegt heute latent durchaus die Frage nach dem Wesen der Erde als eines Organismus. Mechanistische Erklärungen genügen ihnen meist nicht mehr ...".

Dankmar Bosse widmet sich in seinen beiden Beiträgen geologischen Aspekten, Klaus Rohrbach den Hüllen der Erde oberhalb der physisch-festen Oberfläche und Burkhardt Großbach schildert Zukunftsperspektiven.

Diese Beiträge führe ich nun detaillierter aus.

Dankmar Bosses Thema ist "Phänomenologischer Geologieunterricht in der Oberstufe". Er diskutiert einleitend zentrale Widersprüche oder zumindest Fragestellungen, mit denen man (d.h. auch der Schüler) sich auseinandersetzen muß. Beispiel: Wenn 10 m Torf letztlich zu 1 mm Steinkohle verdichtet werden, wie sind dann 30 m dicke Kohleflöze entstanden? Dies ist die Frage, wenn gegenwärtige Prozesse ohne Verwandlung in die Vergangenheit zurückgedacht werden. Noch schwieriger sind äquivalente Fragen bei magmatischen Gesteinen. Den Ausweg sucht Bosse, indem er als Geologe das aktuelle Fachwissen auf die von Steiner herrührenden Gedanken einer Lebenssphäre der Erde überträgt. Dann müßten ferne Erdzustände eher kolloidal denn fest gedacht werden und die Ausfällungen nehmen wir heute als Ablagerungsgesteine bestimmter Epochen wahr. Dieses Bild im Hintergrund entfaltet Bosse eine Möglichkeit eines phänomenologischen Geologieunterrichts, der idealerweise durch Exkursionen in die entsprechenden Landschaften ergänzt werden müßte. Fachkundig vorgetragen und durch einige Zeichnungen ergänzt, finden sich hier viele Anregungen. Kurz - es stehen sehr viele Facetten nebeneinander, eine Fundgrube, besonders für Kenner. (14 Literaturvermerke).

Bosses zweiter Aufsatz widmet sich dem Berg- und Talkreuz Mitteleuropas. Es handelt sich also nicht um das hier schon mehrfach angesprochene Gebirgskreuz der Erde. Durch tektonische Vorgänge in der Kruste ergaben sich zwei Hebungs/Senkungs - Kreuzstrukturen, die Mitteleuropa prägen. In der 50 Jahre alten tektonischen Strukturskizze von H. Cloos kommt dies zur Anschauung. Das Talkreuz wird durch alte Bruchstrukturen gebildet. Wenn sonst die Erde als ganzes im Blickfeld war, dann haben wir hier eine Fallstudie für ein geologisches Detail. (8 Literaturvermerke).

Klaus Rohrbach nimmt "die Erde als Ganzes - ein lebendiger Organismus" ins Blickfeld und beginnt einerseits mit einem langen Zitat von W. H. Preuss aus ‘Geist und Stoff’ und andererseits mit einer politisch-sozialen Standortbestimmung. ‘Die Grenzen des Wachstums’ und ‘Global 2000’ waren programmatische Bücher, die unser aller Bewußtsein veränderten, Tschernobyl und die UNO-Entwicklungskonferenzen taten ihr übriges. Es wird schnell klar - in der 10. Klasse ist das Thema die Luft-, Wärme und Magnetfeldhülle der Erde, deren Strömungen und sonstige dynamischen Prozesse. In diesem Bereich reagiert die Erde schnell bis spontan, ganz anders als in der Geologie. Vom Aufbau her nähert sich Rohrbach von außen der Welt, untermalt durch Astronautenfotos und untersucht dann detailliert die oben angesprochenen Hüllen im Einzelnen. Das geht nicht ohne die Diskussion der gegenwärtigen Theorien und Erkenntnisse über die Gestalt der Erde (Kugel - Ellipsoid - Geoid) und die Entwicklung des Doppelplanetensystems Erde - Mond. Steiners jahrelang unverständliche Mitteilung über eine Lebenssphäre in den Tiefen der Erde wurde vor wenigen Jahren erst verständlich, als wimmelndes (Bakterien)Leben in mehreren Kilometern Tiefe durch Bohrungen entdeckt wurde. Ganz kurz wird die Bewegung der Kontinente gestreift, dann detailliert die Atmosphäre beschrieben, ihre Zirkulation und ihre magnetischen Effekte, die im Polarlicht sichtbar werden. Auch über die weltumspannenden Zirkulationsströme des Meerwassers gewannen wir erst in jüngster Zeit ein halbwegs vollständiges Bild. Kleinräumige Spiralströmungen formen Flußbetten und -lauf, großräumigere ganze Küsten- und Deltazonen. Im Satellitenbild wird man unmittelbar an organische Präparate erinnert - allein aus der Anschauung heraus stellt sich die Frage nicht mehr, ob die Erde ein Organismus ist - es ist evident. Göpfert wählte dieses außerordentlich eindrucksvolle Bild aus Westbirma auch zum Titelbild des Buches. Für Schwankungen der Erdachse liefert Rohrbach im fließenden Text das wichtigste Zahlenmaterial und Daten wie nebenbei. Auf dieser fundierten Basis läßt sich jederzeit aufbauen. Die Schlußfrage Rohrbachs ist eine gegenwärtig aktuelle und für Jugendliche sogar existentielle: Ist der Mensch eher ein Störfaktor, der den Organismus Erde krank macht und wäre es ohne Menschheit nicht besser? Man kann hierüber viel nachsinnen und in eine (oft beobachtete) depressive, nihilistische Haltung verfallen. Der von Steiner gezeigte und von Rohrbach für diese aktuellen Gegenwartsfragen hier ausgeführte Ausweg löst ein vermeintliches Dilemma: der Mensch muß seine Rolle als Pfleger finden und annehmen, in allen Bereichen. Die hier gefundene Antwort befriedigt noch den erwachsenen Leser tief - die heilende Wirkung auf Jugendliche wird ungleich kräftiger sein. Die gesamte Argumentation kann hier nur etwas trocken, berichtend angedeutet werden - der interessierte Leser möge das Original zur Hand nehmen. Dieses Kapitel zeugt von tiefem Einfühlungsvermögen des Autors in latente Jugendfragen, ist wissenschaftlich topaktuell und trifft genau den Zungenschlag, der moderner anthroposophischer Fachliteratur angemessen ist. Für mich ist hier das zentrale Kapitel des Buches - ohne die übrigen abwerten zu wollen! ( 50 Literaturvermerke).

Burckhardt Großbach kümmert sich um Zukunftsperspektiven und umreißt seine Überlegungen zum Geographieunterricht der 11. Klasse. Nach kurzer Einführung gibt er einen kulturgeographischen Abriß. Er breitet die 10 Landschaftsgürtel der Erde aus, die sich wieder vierfach rhythmisch gliedern, parallelisiert sie mit den Klimaten und der Vegetation und wirft von dieser Warte aus ein Schlaglicht auf die menschlichen Wirtschaftsformen in der jüngeren Vergangenheit (z.B. Kolonialismus und Kolonialwaren) und Gegenwart. Mehrere konkrete Fallstudien bereichern das Bild und zeigen, was Menschen tun können, die die zerstörte Erde pflegerisch behandeln oder als Banker Selbsthilfe fördern. Wenn man gezielt sucht, findet man überall Positivbeispiele, z.B. auch bei diversen Schuldentauschmodellen, die bereits erfolgreich praktiziert werden. Die Botschaft bei Großbach ist so zwar nicht direkt formuliert, dennoch aber klar sichtbar: Jeder Einzelne hat es in der Hand, sich von Negativbeispielen der weltüberspannenden Interaktionen deprimieren zu lassen, schlimmstenfalls mitzuwirken oder sich durch die Positivbeispiele zu beflügeln - Freiheit für das Individuum in der Entscheidung. (9 Literaturvermerke).

Ein Resümee: Das Buch ist ein Sammelband mit hervorragenden Aufsätzen qualifizierter Autoren (trotz kleiner Kritik im Detail), einige etwas blasser, andere strahlender. Ein Altmeister hat 14 Einzelwerke gewählt und mit einer gemeinsamen Klammer vereinigt. Was hätte ich mir noch gewünscht? Etwas mehr Originäres, also mehr als 4 von 14 Teilen, aus jedem Kulturkreis eine ausgearbeitete Fallstudie (Beispiele: Südamerika, Nordafrika (SEKEM), Ostasien, Europa oder Neuseeland), etwas weniger Regenwald (der durch Suchantkes zwei Artikel ein starkes Gewicht erhielt) und dafür mehr Wüste (gleichwohl beide innig zusammenhängen!). Manchmal stellt sich beim wiederholten Lesen schon die Frage, ob es nicht gut gewesen wäre, den einen oder anderen Artikel anzupassen - manche Passagen lesen sich nach der Rassismusdiskussion in den Niederlanden schon etwas anders als vorher, also zu der Zeit, als sie verfaßt wurden. Der eine oder andere Schreibfehler hätte beim Nachdruck eliminiert werden können. Trotzdem: Ich bin froh um diesen Sammelband und werde ihn nie mehr missen wollen.

(Wolfgang Creyaufmüller)

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