Peter Lipps

Temperamente und Pädagogik
Eine Darstellung für den Unterricht an der Waldorfschule

Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1998, 477 S., geb. € 35,–

 

Bereits 1998 erschienen, mittlerweile vermutlich von jedem Klassenlehrer dankbar benutzt – wenigstens in den Abschnitten, in welchen Lipps aus seiner langen Erfahrung als Klassenlehrer ausführliche Beispiele vorträgt –, sei es dennoch erlaubt, erst jetzt diese reichhaltige Ausfaltung des waldorfpädagogischen Themas der“ersten Stunde« (in der ersten Seminarbesprechung mit den künftigen Lehrern während eines zweiwöchigen Vorbereitungskurses vor Eröffnung der Waldorfschule schlägt Rudolf Steiner am 21. August 1919 das Thema“Temperamente« an) zu würdigen. Natürlich ist das Buch in vier Teile untergliedert, jedes Temperament bekommt das Gebiet, was der Autor ihm aus guten Gründen zubilligt: Dem Sanguiniker die Phänomene, dem Melancholiker die Anthropologie, dem Choleriker die Praxis und dem Phlegmatiker den historischen Part. Das mag man goutieren oder mit Vorbehalt (gegen die Typisierung) studieren, der Lektüre tut das keinen Abbruch; da geht es in die Länge und Breite (z.B. um die Spuren Steinerschen Denkens möglichst lückenlos zu dokumentieren), da wird aufgereiht und zugeordnet, was man an biographischen Kenntnissen über bedeutende Persönlichkeiten, so ihre Temperamentsveranlagung deutlich ist, anzuführen weiß. Ebenso wie man in die Grundlagen der Temperamentserkenntnis und seiner Geschichte bis 1998 eingeführt wird, lernt man auch die pädagogischen Aspekte kennen. Die sind immer am stärksten in den Kapiteln, in welchen der Autor eigene Erfahrungen beispielhaft ausbreitet – unvergleichlich dabei die Columbus-Erzählungen aus dem Geschichtsuntericht der 7. Klasse; anregend auch das, was er über musikalische und sprachliche Aspekte zu sagen weiß, schwächer aber da, wo er sich auf Nennung schon bekannter Hinweise begnügt, die dadurch nicht wirklich erhellt oder tiefer begründet werden. So hat man es einerseits mit einer kompilatorischen Fleißarbeit, andererseits mit vereinzelten »Tiefbohrungen« zu tun. Damit ist diese »Darstellung für den Unterricht an der Waldorfschule« mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss, den man sich möglicherweise erwartet. Aber man wird hier fündig, sucht man Anstöße für den eigenen Unterricht; man wird neugierig, lässt man sich durch die biographischen Notizen zu umfassenderer Suche animieren. Das Thema »Temperamente« ist eben ein Forschungsgebiet, das sich nicht zwischen Buchdeckeln abschließen lässt: Man ist zum zwischenmenschlichen Studium aufgefordert nach dieser reichen Lektüre!

Walter Riethmüller

 

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