Roswitha von dem Borne

Einfach fallen lassen – Der Rausch nach Grenzerfahrungen

Mayer Verlag, Stuttgart / Berlin 2001, 248 S., Pb. € 20,–. 

Ausgehend von einem Schema mit zwei Säulen führt die Autorin den Leser an die beiden gegensätzlichen Wege heran, auf denen viele Zeitgenossen nach Grenzerfahrungen suchen, wobei sie durch entsprechende Beispiele immer wieder deutlich macht, dass es sich dabei nicht nur um Jugendliche oder junge Erwachsene handelt, sondern um ein weit verbreitetes Phänomen in unserer Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen all jene Grenzerfahrungen, die über äußere Erlebnisse gesucht werden, in denen also ein reales Risiko eingegangen wird und trotz aller äußeren Sicherheitsvorkehrungen Wagemut und Tollkühnheit gefragt sind. Auf der anderen Seite stehen diejenigen Grenzerfahrungen, die sich vorrangig im Inneren abspielen, wie die virtuellen Welten des Internet und der Computerspiele und Drogenerfahrungen, bei denen die Konsumenten meistens keinerlei Risikobewusstsein besitzen und sich von der Tendenz her ganz in sich verlieren.

Ausgehend von der linken »Säule« des Schemas schildert die Autorin im zweiten Kapitel des Buches in eindrücklicher und nachvollziehbarer Weise die verschiedenen Erscheinungsformen etablierter, organisierter und selbstständig gesuchter Extremerfahrungen, vom Bungeespringen über die spektakulären Fahrgeschäfte in Freizeitparks und auf Rummelplätzen bis zum Surfen und Wellenreiten. Dabei werden die unterschiedlichen Angebote nicht nur phänomenologisch beschrieben, sondern auch immer wieder durch Kommentare von Nutzern und Anbietern ergänzt. Auf diese Weise gelingt es der Autorin, auch denjenigen, die z.B. noch nie etwas von »Aerotrim« gehört haben, eine Vorstellung davon zu vermitteln, um was es sich im Einzelnen handelt. Daran anschließend begibt sie sich auf die Suche nach den Ursachen für das offenkundige Bedürfnis etlicher Zeitgenossen, gelegentlich oder sogar regelmäßig solche Grenzerlebnisse zu suchen. Im vierten Kapitel beschreibt von dem Borne die heute zunehmend verbreiteten inneren Grenzerfahrungsregionen, wobei sie sehr deutlich die realen Gefahren und Risiken darstellt. Nach der Erkundung der Extreme beginnt die Suche nach der Mitte, wobei die Verfasserin auch hier zunächst von seltenen Ausnahmeerfahrungen: denen von Astronauten ausgeht. In der Folge erarbeitet sie anhand verschiedener Berufe die Kriterien für einen gesunden Mittelweg. Durch die Auswahl von eher exklusiven Berufen wird unmittelbar deutlich, dass es sich bei der Mitte nicht um eine langweilige Ruhestellung, vielmehr um eine immer wieder neu zu erarbeitende und zu behauptende labile Position handelt, die selbst bei vorhandener Routine die momentane Präsenz des Einzelnen fordert. Die sich anschließenden anthroposophischen Betrachtungen fallen etwas knapp aus, was zwar für den Kenner der angesprochenen Zusammenhänge durchaus angenehm ist, da hier in bündiger Form die Zusammenhänge zwischen den Phänomenen und den geisteswissenschaftlichen Hintergründen hergestellt werden; damit wird allerdings leider der Personenkreis, dem man dieses Buch empfehlen kann, eingeschränkt. Es wäre mit Blick auf ein breiteres Publikum wünschenswert gewesen, mit gleicher Sorgfalt wie in den vorherigen Kapiteln sich auch phänomenologisch den geisteswissenschaftlichen Grundlagen zu nähern, was allerdings eine wesentliche Ausweitung der Arbeit nach sich gezogen hätte. So hat dieses Buch in einem gewissen Sinne den Charakter eines »Fachbuchs«, und als solches ist es durchaus zu empfehlen. All jene, die mit den grundlegenden Schilderungen bezüglich der »Gliederung der menschlichen Wesenheit aus anthroposophischer Sicht« und der »Aufspaltung von Denken, Fühlen und Wollen« im Ansatz vertraut sind und die sich einen Einblick in die angebotenen und gesuchten Grenzerfahrungen und die dahinterliegenden Motive verschaffen wollen, sollten dieses Buch zu Rate ziehen und sich durch den Umstand, dass es bereits drei Jahre alt ist, in keinster Weise abschrecken lassen, denn es ist immer noch aktuell.

 

Uwe Buermann

 

Zurück zu                Hauptseite-Titel                 Hauptseite-Rezensenten                Home