Georg Maier

blicken – sehen – schauen. Beiträge zur Physik als Erscheinungswissenschaft
 Zusammengestellt und mit einem Vorwort versehen von Johannes Grebe-Ellis

400 S., geb. € 38,–. Kooperative Dürnau 2004

 

In zeitlicher Nähe zum 70. Geburtstag (2003) hat J. Grebe-Ellis 28 Aufsätze von Georg Maier aus den Jahren 1969 bis 2003 in einem Sammelband zugänglich gemacht. Maier, der 1969 aus dem Institut für Neutronenphysik in Jülich zum Forschungsinstitut am Goetheanum wechselte, ist für viele jüngere Naturwissenschaftler und insbesondere für Physiklehrer ein Anreger und Impulsgeber geworden. Insbesondere sein Buch Optik der Bilder, das bereits in 5. Auflage erschienen ist, hat über die Optik-Epoche der 12. Klasse an Waldorfschulen indirekt auch zahlreiche Waldorfschüler an neue Betrachtungsweisen herangeführt.

Der nun erschienene Sammelband lässt an Betrachtungen zur Mechanik, zur Optik, zur Zeit und manchen anderen Themen immer wieder methodische Herangehensweisen erfahren, die neu und bereichernd sind. Obgleich als Atomphysiker mit Modellbildungen und -bildern bestens vertraut, versucht Maier das reduktionistische Ausblenden von Wahrnehmungsqualitäten zu meiden und sich selbst dem Reichtum der Phänomene zu öffnen. Jeder Aufsatz kann als ein Bericht davon gelesen werden, wie der Autor sich ein Stück Welt wesenhaft erschlossen hat. Dabei kommt er nie in Gefahr, den Fehler einer missverstandenen Phänomenologie zu begehen, nämlich Experimente oder andere Erscheinungen nebeneinander zu stellen, ohne ihren inneren Zusammenhang sichtbar werden zu lassen. Das Gegenteil ist bei Maier der Fall: Seine Methode ist ein eingehendes Betrachten. Er gibt sich einer Erscheinung ganz hin, damit sie ihr Wesen in ihm aussprechen kann. Ein Zustand aktiver Aufnahmefähigkeit, aktiver Passivität, in dem das Du sein Wesen offenbaren kann, ist gefordert, der dem Objekt keine Vorstellungen aufzwingt, sondern das Andere in sich wirksam werden lässt. So kann sich dann im aktiven Nebeneinanderstellen, Vergleichen, Ordnen von Phänomenen dem denkenden Betrachten der innere Zusammenhang der Erscheinungen, der dem bloßen Betrachten verborgene Logos offenbaren. So versucht Maier zugleich eine Forderung des Philosophen Schelling zu verwirklichen: Die Natur erkennen, heißt die Natur schaffen. Dies meint nicht, sie in die Form einer Modellvorstellung zu zwingen, sondern sie im anschauenden Denken sich selber aussprechen zu lassen.

Es ist bekannt, wie wenig anziehend physikalische Betrachtungen auf die Mehrheit der Zeitgenossen wirken. Wer – außer einigen Fachleuten – sollte sich für Themen wie die Beugungserscheinungen am Licht oder über einen verformbaren Hohl-Wölb-Spiegel interessieren? In manchen werden eher unerfreuliche Reminiszenzen gehabten Physikunterrichts auftauchen. Aber es kann ja nicht sein, dass die uns umgebende physische Welt, in der und aus der wir alle leben, nicht von
höchstem Interesse sein könnte. Georg Maiers Arbeiten können uns helfen, vielfach unverstanden Gelerntes aufzubrechen und einem voll menschlichen Erleben zuzuführen. Deshalb möchte man diesem Buch eine breite Leserschaft auch von Nichtfachleuten wünschen. Wie anders würde ein Deutsch- oder Geschichtslehrer auch seine Fächer unterrichten, wenn er zu den Erscheinungsformen der physikalischen Welt ein Verhältnis gewinnen könnte, wie es in uns durch den Autor angeregt werden kann. Das Buch ist ein Erziehungsmittel weit über die behandelten Inhalte hinaus.

Ernst Schuberth

 

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