Giselher Langscheid

Vokal und Konsonant als methodisch-didaktische Grundlage für den Streichinstrumentalunterricht
Menschenkundliche Betrachtungen über das Spielen von Streichinstrumenten

105 S., Spiralbindung € 34,– + Versandkosten. 
Eigenverlag, Schwäbisch Hall 2003. Bezug beim Verfasser: Giselher Langscheid, Teurerweg 1, 74523 Schwäbisch‑Hall 

 

Dieses Buch ist das Geschenk eines begnadeten Pädagogen an alle, die mit Kindern und Jugendlichen zwischen 7 und 21 Jahren zu tun haben. Zugleich ist es eine Herausforderung, denn es verlangt vom Leser ein Maß an Eigentätigkeit, das nicht jedermann gewohnt ist: es besteht nämlich fast nur aus Anregungen. Anregungen aber sind wie Samenkörner: Nur wer sie in die eigene Seele aufnehmen und dort selbsttätig pflegen will, wird Blüten und Früchte ernten können.

Ursprünglich schrieb dieses Werk ein Violinlehrer für seine Fachkollegen. Es ist aber so durchflochten von grundlegenden menschenkundlichen Darstellungen und einer Fülle allgemeiner pädagogischer und methodischer Hinweise, dass auch jeder Klassen- oder Fachlehrer es mit hohem Gewinn lesen wird (von Eltern, die ja am nächsten an den he­ranwachsenden Menschen dran sind, ganz zu schweigen).

Das Buch gliedert sich in drei Teile: eine längere Einleitung bereitet die Thematik vor; zwei zusammengehörige Kapitel führen sie bis in die praktischen Details aus; das abschließende dritte bettet diese Einzelheiten dann wieder in größere Zusammenhänge ein.

Die Einleitung ist kondensierteste anthroposophische Menschenkunde und Erziehungslehre. Hier ist langsames Lesen und Mitdenken gefragt. Zuerst glaubt man, nur mit der Anthroposophie schon sehr Vertraute könnten mit diesem Buchteil etwas anfangen. Bei näherem Zusehen entdeckt man dann aber, dass diese Seiten auch völlig voraussetzungslos aufgenommen werden können, ja, dass Giselher Langscheid darin mit Bedacht so vorgegangen ist, dass jeder, der sich unvoreingenommen darauf einlässt, in ihnen geradezu eine erste Einführung in Anthroposophie und Waldorfpädagogik erhalten kann. Die Thematik dieser Einleitung könnte man in dem Satz zusammenfassen: der Mensch als Weltenwort, gegliedert in Vokal und Konsonant.

Ganz anders das erste der beiden zentralen Kapitel. Hier ist Tätigkeit gefragt: alles sofort selber ausprobieren, abspüren, sich anverwandeln, in die eigene Lebens- und Lehrersituation übersetzen! Beim ersten Durchblättern erscheinen einem diese Seiten wie ein großes, von Versen und Liedern begleitetes Bilderbuch für Kinder von 6 bis 8 Jahren. Erst beim zweiten Blick erkennt man, dass sich auch dieses Kapitel ausschließlich an den Erzieher wendet und dass es das Dokument einer wirklichen schöpferischen Leistung hohen Ranges ist. Warum?

Langscheid legt hier an einer Fülle von Beispielen offen, was sich üblicherweise nur in der Verborgen- und geschützten Geborgenheit der Unterrichtsstunde zwischen ihm und seinen Schülern abspielt: wie eine konkrete Unterrichtssituation mit einem ganz bestimmten Kind ihn zum Erfinden von Versen, kleinen Sprüchen, Liedern und Bewegungsbildern führt. Es sind Dokumente seines Bemühens, eine zentrale pädagogische Anregung Rudolf Steiners zu verwirklichen: Den Kindern dieses Alters sollen am eigenen Leib erlebbare und erlebte Bildvorstellungen vermittelt werden, die sich dann in der Nacht im Schlaf zu wirklicher, ein Leben lang tragender Seelensubstanz verwandeln können (und in diesem Fall: zur seelisch-geistigen und körperlichen Grundlage instrumentaler Fähigkeiten).

Der durch die Übertragung vom Schweizer Dialekt ins Schriftdeutsche vorhandene Qualitätsverlust hat auch sein Gutes: Ein feinfühliger Leser wird dadurch weniger in Versuchung kommen, dies alles einfach zu übernehmen und rezeptartig in seinen eigenen Unterricht zu verpflanzen. Er wird diese Beispiele als das nehmen, als was sie gedacht sind: als Anregungen, nun selber und aus seinen eigenen schöpferischen Kräften Entsprechendes für die Individualität jedes einzelnen Schülers zu suchen und zu erfinden.

Das nicht zu überschätzende Verdienst (und in der Streichinstrumentalpädagogik absolut Neue) dieses ersten Kapitels liegt darin, Wege aufzuzeigen, wie die buchstäblich welterzeugenden Kräfte der Konsonanten im Unterricht am Streichinstrument (aber nicht nur dort!) in dieser Altersgruppe fruchtbar gemacht werden können.

Das zweite zentrale Kapitel tut dasselbe für die Kräfte der Vokale, wobei hier sachgemäß der Unterricht für Kinder im Alter zwischen 9 und 14 im Vordergrund steht. Auf Schritt und Tritt findet man neue Ansätze, originelle Betrachtungsweisen und wieder eine Fülle oft nur kleiner und unscheinbarer Anregungen, deren Fruchtbarkeit sich dem Leser erst wieder in der eigenen Verarbeitung erweisen wird.

Zwischen die beiden Kapitel ist das Substrat eines Lehrplans für das Geigenspiel für 7- bis 21‑Jährige gemäß den Entwicklungsgesetzen, wie sie Rudolf Steiner aufwies, eingeschoben, erweitert um eine Betrachtung über die Bedeutung, die ein chorisches Geigenspiel in den beiden ersten Volksschuljahren haben könnte.

Geradezu kühn ist der Inhalt des dritten Kapitels. Was in den vorigen beiden Kapiteln als von der Sprache und ihren Werkzeugen abgelöste Vokal- und Konsonantenbildetätigkeit im Streichinstrumentenspiel dargestellt wurde, wird jetzt mit der Gesamtheit des menschlichen Bewegungs- und Sinnesorganismus in Beziehung gebracht. »Das Geistigste im Menschen« (Rudolf Steiner), nämlich der im Bewegungsapparat sich verwirklichende Wille, wird hier in einer vielfältigen Differenzierung neu angeschaut und ausgeleuchtet. Dies ergibt eine Fülle menschenkundlicher Erkenntnisse und Anregungen! Und die Geiger, Bratschisten und Cellisten werden ihre Bögen und was sie damit tun, mit ganz neuen Augen ansehen.

Der Autor ist unter anthroposophischen Musikern kein Unbekannter. In zahlreichen Kursen und Tagungen hat er seine jahrzehntelange Erfahrung als Orchester‑ und Kammermusiker und als Instrumentalpädagoge an Kollegen und Laienmusiker weitergegeben. Vor allem aber ist er einer der beiden Gründer der Freien Musikschule Basel, die mit ihren 25 Jahren die »dienstälteste« dieser inzwischen im ganzen deutschen Sprachraum verbreiteten Einrichtungen ist. Mögen die kostbaren Blumen und Früchte, die in dieser äußerlich so bescheidenen Arbeit verborgen sind, vielen Kindern zugute kommen!

Felix Lindenmaier 

 

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