Wüstenrot Stiftung (Hrsg.)

Schulen in Deutschland. Neubau und Revitalisierung

376 S., € 28,50. Karl Krämer Verlag Stuttgart, Zürich 2004

 

Der opulent bebilderte Band soll einen Überblick zum aktuellen Schulbau in Deutschland geben. Vorgestellt werden unter anderem Bau- und Renovierungsprojekte, die an einem Wettbewerb der Wüstenrot-Stiftung zum Thema Schulneubau und Revitalisierung beteiligt waren. Um einen umfassenderen Einblick in das Thema zu geben, wurden ergänzende Artikel in den Band aufgenommen, die sich mit dem Verhältnis von Staat bzw. Öffentlichkeit und Schule, mit ausgewählten internationalen Beispielen des Schulbaus, mit pädagogischen Gesichtspunkten im Hinblick auf Schulbauten sowie mit Entwicklungen des Schulbaus und der Schulsanierung in den letzten Jahrzehnten befassen. Auf den ersten Blick erscheint das Buch daher wie ein fundierter und umfassender Einblick in die neuere Geschichte des Schulbaus. Interessante Artikel und Statistiken informieren über die Schulbausituation in den Bundesländern, über Neubauten und Bestandssanierungen, über rechtliche Rahmenbedingungen, Finanzierungsprobleme und  -modelle sowie über bevorzugte Bautypen im deutschen Schulbau. Artikel über die Geschichte des Schulbaus, über Aspekte eines nachhaltigen Bauens und über Qualitätsmerkmale (»Die gute Schule der Zukunft«) komplettieren dieses umfassende Spektrum. Die zahlreichen, meist farbigen Abbildungen geben einen weitgespannten, variantenreichen Einblick in Gestaltungsmöglichkeiten von Fassaden, Innenräumen, Schulhöfen, in verwendete Materialien und deren Anmutung, in den Umgang mit Farben und Möglichkeiten der Geländegestaltung wie auch in die jeweiligen Planungsgesichtspunkte bzw. die technischen Aspekte der Bauprojekte. Wer sich mit der Planung von Neubauten oder mit der Renovierung schulischer Räume befasst, kann insofern zahlreiche Anregungen erhalten.

Leider bietet der Band zugleich auch ein breites Spektrum an Problemen, Blickverengungen und verpassten Chancen gründlicher Recherche. Zunächst: Schon beim ersten Durchblättern und Betrachten der Beispiele wird deutlich, dass der Fabrikschulbau der 70er Jahre, im Gewand »postmoderner« Material- und Farbspielereien, offenbar ungebremst fortgesetzt wird. Kalte Pracht, starre, unorganische Bauformen, beziehungslos addierte Bau- und Farbelemente herrschen vor. Nach wie vor scheint es – von wenigen Ausnahmen abgesehen – für viele Architekten Jacke wie Hose zu sein, ob sie ein Einkaufszentrum, eine Fabrik oder eine Schule bauen. Dabei besteht eine erstaunliche Diskrepanz zwischen den Bildern und den Texten, die jene angeblich kinderfreundlichen bzw. architektonisch gelungenen Bauten anpreisen. Man fühlt sich an die Sprachformeln der 70er Jahre erinnert. Damals waren »Chancengleichheit und Demokratisierung« angesagt; entsprechend wurden beispielsweise die trostlosen fensterlosen Schulen jener Zeit mit scheinpädagogischer Zeitgeist-Rhetorik angepriesen: Jeder Schülerplatz sei mit der gleichen Lichtstärke ausgeleuchtet, daher werde niemand bevorzugt oder benachteiligt. Heute wird das PISA-Fähnchen geschwenkt, um »Überschaubarkeit und Klarheit«, »räumliche Großzügigkeit«, »Disziplin und Funktionalität« monotoner Großanlagen effektvoll in Szene zu setzen. Das ist die wohlvertraute Architekten-Rhetorik, die eher den jeweiligen Zeitgeist als wirkliche pädagogische Gedanken widerspiegelt. Schon ein – hier merkwürdigerweise nicht zitierter – Bildband wie W. Kroners »Architektur für Kinder« (1994) zeigt indessen ganz andere Beispiele und macht neben architektonischen Beispielen aus M. Cuadras »Der Kindergarten. Seine Architektur in Geschichte und Gegenwart« (1996) deutlich, dass der vorliegende Band keineswegs einen zutreffenden Überblick über die Möglichkeiten der Schulbau-Architektur bietet. Dieser Mangel an gründlicher Recherche ist auch für die pädagogischen Beiträge typisch: Lediglich eine der zahlreichen pädagogischen Arbeiten zum Schulbau, die in den letzten zehn Jahren erschienen sind, wird hier aufgegriffen. Entsprechend oberflächlich bleibt der   historische Überblick über den Schulbau. Das Buch von M. Freyer: »Das Schulhaus. Entwicklungsetappen im Rahmen der Geschichte des Bauern- und Bürgerhauses sowie der Schulhygiene« (1997) und M. Göhlichs 1994 erschienene Arbeit »Die pädagogische Umgebung. Eine Geschichte des Schulraums seit dem Mittelalter« hätten hier als hilfreiche Hintergrundinformationen herangezogen werden können. Munter wird auch über Qualitätsmerkmale der Zukunftsschule spekuliert, ohne dass man sich der Mühe unterzogen hätte, entsprechende empirische Untersuchungen (»welche Schule wünschen sich Schüler«) zur Kenntnis zu nehmen: Auch sie liegen im psychologischen und pädagogischen Schrifttum vor. Vergeblich, so heißt es auf S. 110, habe man versucht herauszufinden, »wer in diesem Land über den Schulbau nachdenkt … Niemand weit und breit.« Es hätte einer einfachen Internet-Recherche bedurft, sich vom Gegenteil zu überzeugen und damit auf den Stand der Fach-Diskussion zu kommen. Als weitere Beispiele seien hier genannt: J. Forsters Untersuchung »Räume zum Lernen & Spielen. Untersuchungen zum Lebensumfeld Schulbau« (2000), das von A. Dreier u.a. herausgegebene, gut bebilderte Buch »Grundschulen planen, bauen, neu gestalten. Empfehlungen für kindgerechte Lernumwelten« (1999) oder R. Waldens und S. Borrelbachs praxisorientierte Schrift »Schulen der Zukunft« (2002). Vollkommen deplaziert wirkt der Beitrag eines Erziehungswissenschaftlers, der die Geschichte der deutschen Pädagogik im 20. Jahrhundert zu charakterisieren versucht, ohne sein Thema auch nur in Ansätzen auf den Schulbau zu beziehen – auch er ignoriert die zahlreichen Arbeiten, die zum Thema »Geschichte des Schulbaus« erschienen sind. Die interessanten architektonischen Entwicklungen auf dem Waldorfschul-Sektor werden fast vollständig ausgeblendet (während in dem oben genannten Werk von W. Kroner darauf mit einigen sehr wegweisenden Beispielen eingegangen wird). – Wem die einleitend genannten Vorzüge des Bandes wichtig sind, wird Gewinn daraus ziehen können; die dann genannten Einschränkungen und Mängel sollten dabei aber nicht aus dem Blick geraten.

Christian Rittelmeyer

 

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