Edwin Hübner

Anthropologische Medienerziehung. Grundlagen und Gesichtspunkte

Dissertation Universität Paderborn 2004

 

Medien und Computer haben sich in wenigen Jahrzehnten über die ganze Welt ausgebreitet. Tempo und Ausmaß der Veränderungen, die damit zusammenhängen, sind einmalig. Es gibt in der Geschichte nichts Vergleichbares.

Zu der Entwicklung gehört, dass über ihre Folgen wenig nachgedacht wird. Was es für ein Kind bedeutet, wenn es, wie geplant, bereits im Kindergarten in die Benutzung des Computers eingeführt wird, darüber herrscht weitgehende Ahnungslosigkeit. Ahnungslos sind auch die Menschen, die täglich mehrere Stunden vor einem Fernsehgerät zubringen. Vorteile und Annehmlichkeiten der technischen Neuerungen werden angenommen. Die Nachteile treten nicht ins Bewusstsein.

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Der wichtigste ist wahrscheinlich der, dass die meisten Menschen sich nicht mehr selbst verstehen, nicht mehr wissen, was eigentlich ein Mensch ist. Umfragen haben ergeben, dass viele glauben, sie seien so etwas wie biologische Computer. Dieses Selbstverständnis beunruhigt und erzeugt den Wunsch nach Zerstreuung. Ein weiterer Grund, der die Entwicklung vorantreibt, dürfte darin liegen, dass Medien und Computer sich gut dazu eignen, Macht auszuüben und Reichtümer zu erwerben. Und schließlich folgen die Erfindungen so schnell aufeinander, dass das Denken Mühe hat, Schritt zu halten.

Trotz dieser Schwierigkeiten gibt es seit Jahrzehnten kritische Beiträge zur Medienfrage. In diesem Jahr ist die Untersuchung von Edwin Hübner erschienen, die für sich beanspruchen kann, einen gewichtigen Platz im Chor der kritischen Stimmen einzunehmen. Die umfangreiche Arbeit ist bei dem Erziehungswissenschaftler Peter Schneider (Universität Paderborn) als Dissertation entstanden und mit summa cum laude bewertet worden.

Hübner schafft erstmalig die Grundlagen für eine Medienerziehung, die über tagesaktuelle Forderungen der verschiedenen Interessengruppen hinausgeht. Statt zu fragen, welche Leistungen (man spricht da gern von Kompetenzen) im Hinblick auf den Beruf, die Informationsgesellschaft, den Standort Deutschland oder was auch immer von den Kindern, wenn sie erwachsen sind, zu erbringen seien, stellt Hübner das Wesen des Kindes und seine Entwicklungsbedingungen in den Mittelpunkt. Außerdem zeichnet er in großen Linien die geschichtliche Entwicklung des Zusammenhangs von menschlichem Bewusstsein und technischem Fortschritt.

Auf dem Boden dieses Ansatzes können Fragestellungen und Gesichtspunkte entwickelt werden, die in die Tiefe des Problems führen. Hübner stellt die These auf, dass wir den Kindern pädagogische Räume zur Verfügung stellen müssen, die weitgehend technikfrei sind. Nur unter dieser Bedingung können im Kind diejenigen Fähigkeiten reifen, die später dem Erwachsenen einen selbstbestimmten, kreativen Umgang mit Medien und Computern ermöglichen.

Hübner gelingt es, diese Forderung, mit der er im krassen Gegensatz zur heute vorherrschenden Tendenz steht, ohne einen Hauch von Technikfeindlichkeit vorzutragen. Er argumentiert zum einen entwicklungspsychologisch. Er stützt sich dabei auf die anthroposophische Menschenkunde, führt aber auch eine Fülle neuerer Forschungen an, die alle Rudolf Steiners Aussagen bestätigen. Die kindlichen Entwicklungsschritte werden konfrontiert mit den spezifischen Eigenschaften der verschiedenen Medien. Diese Gegenüberstellung muss jedem, der sich nicht absichtlich blind stellt, verdeutlichen, dass ein Kind durch technische Medien nicht gefördert werden kann, sondern dass es im Gegenteil Schaden nimmt.

Falls die Arbeit Hübners die ihr gebührende Beachtung findet, muss sich die Bedeutung von »Medienerziehung« zumindest für die Vor- und Grundschule verschieben. Nach Hübner kann Medienerziehung in dieser Zeit nicht darin bestehen, die Kinder mit Medien zu konfrontieren, wie pädagogisch geführt diese Begegnung auch sein mag. Es muss vielmehr darum gehen, Phantasie, Erlebnisfähigkeit, künstlerische und soziale Fähigkeiten, um nur einiges zu nennen, so zu entwickeln, dass später aus eigener Kraft ein erfülltes Leben geführt werden kann. So verstandene Medienerziehung ist in der Lage, ein Gegengewicht gegen Medienabhängigkeit zu schaffen. Es muss an dieser Stelle betont werden, dass alle Konzepte von Medienerziehung/Medienpädagogik geflissentlich darüber hinweg sehen, dass sich der erwachsene Bundesbürger täglich im Durchschnitt mehrere Stunden (allein 203 Minuten Fernsehen) passiv den verschiedenen Medienangeboten aussetzt. Hübner fragt nach den Gründen für diesen wenig erfreulichen Zustand und entwickelt Gegenstrategien.

Ein Verdienst der Arbeit besteht auch darin, dass sie für eine Auffassung vom Kind streitet, die heute mehr und mehr aus dem wissenschaftlichen Diskurs verdrängt wird. Wenn Hübner vom Wesen des Kindes spricht, dann hat er einen Menschen vor Augen, der mit einem individuellen, geistigen Kern, einem Ich, begabt ist. Dieses Ich verbietet es, ein Kind von außen, durch mediale Eindrücke, zu steuern. Es trägt seinen Entwicklungsweg, sein Ziel in sich und ist heute auf pädagogische Räume angewiesen, um das Mitgebrachte zur Entfaltung bringen zu können. Hübner verwendet die größte Sorgfalt darauf, die von ihm vertretene Auffassung vom Menschen so zu entwickeln, dass sie vom Leser denkend nachvollzogen werden kann. Da ist kein Platz für Glaubensbekenntnisse oder blumige Redewendungen.

Insgesamt kann über die Arbeit gesagt werden, dass sich Hübner mit ihr mutig und kenntnisreich mitten in die aktuellen Auseinandersetzungen um die Rolle der Medien stellt. Es ist zu wünschen, dass Offenheit und Ernsthaftigkeit, die er anderen Positionen entgegenbringt, auch ihm zuteil werden. Eine Nebenwirkung der Veröffentlichung besteht darin, dass einmal mehr die Aktualität und Fruchtbarkeit der Waldorfpädagogik vor Augen geführt wird.

Heinz Buddemeier

 

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