Wassilos E. Fthenakis (Hrsg.)

Elementarpädagogik nach PISA. Wie aus Kindertagesstätten Bildungseinrichtungen werden können

375 S., brosch. € 19,90. Herder Verlag, Freiburg, Basel, Wien 200

 

Die Reformen in den Bildungseinrichtungen für Vorschulkinder – einst nannte man diese Kindergärten – waren längst überfällig, nicht erst nach PISA. Der Schock traf gerade die so genannte Frühpädagogik keineswegs unvorbereitet, er verhalf ihr im Gegenteil dazu, mit ihren neuen Bildungsmodellen sich als ein willkommener, weil kompetenter Ratgeber für die Bildungspolitiker zu profilieren: Der mittlerweile in Bayern probeweise eingeführte Bildungsplan kennzeichnet einen möglichen Weg zur Neuformulierung und -ausrichtung des Bildungsauftrags. Seine auch jetzt noch diskussionswürdigen Grundlagen findet man im vorliegenden Buch breit gefächert dargestellt. Die Darstellungen arbeiten relevante Erkenntnisse aus Frühpädagogik, Psychologie, Hirn- und Bildungsforschung auf, stellen neue Modelle zur Qualitätssicherung und Erzieherinnenausbildung vor und beziehen internationale Perspektiven mit ein. Besondere Beachtung verdient der Streifzug von W. F. Fthenakis durch die verschiedenen Konzepte der Bildung in der frühen Kindheit; danach gilt als aktuelle die so genannte postmoderne Perspektive, welche ein Bildungsangebot unter den Prämissen von kultureller Diversität, sozialer Komplexität und individueller Unterschiedlichkeit zu formulieren versucht. Lernen und Bildung werden als sozialer Prozess verstanden, ganz im Unterschied zur Perspektive der Moderne, die Lernen vor allem als einen individuellen Prozess begreift: Die griffige, allerdings oft zur Phrase verkommene Perspektive »Vom Kinde aus« gilt in diesem Sinne als überwunden. In dieser Welt der Vielfalt und Unterschiedlichkeit gelten auch keine Entwicklungsschwellen mehr, wie sie z.B. der Begriff »Schulreife« noch anzeigt; Bildung der Postmoderne spricht von Schulfähigkeit, diese verlange nach Kompetenzen, und der Erwerb dieser müsse sich an den individuellen Fähigkeitsspektren der Kinder orientieren.  Besonders die Aufsätze in den ersten beiden Teilen des Buches sind wegen ihrer grundlegenden Bedeutung für das Verstehen der jetzigen praktischen Umsetzungen lesenswert: Grundlagen der Gehirnforschung werden vorgestellt (Wolf Singer: »Was kann ein Mensch wann lernen?«), aus dem so genannten metakognitiven Ansatz erfährt man, »Wie Kinder das Lernen lernen« (Kristin Gisbert), »Ergebnisse der Resilienzforschung und ihre Bedeutung für die pädagogische Praxis« (Corina Wustmann) werden präsentiert und über die Bewältigungsstrategien in Situationen des Übergangs vom Kindergarten zur Schule gehandelt (Wilfried Giebel, Renate Niesel). Dem Waldorfpädagogen vertraute Zusammenhänge wie Zahnwechsel und Schulreife, die Beobachtung des Herausplastizierens der Schulkindgestalt, die Entbindung von Lernkräften aus leibesbildenden Kräften um das siebte Lebensjahr, deren man sich gern mit den Ergebnissen der Forschungen Jean Piagets vergewisserte –, alles das hat keinen Platz mehr im aktuellen Diskurs: Die von Fthenakis vorangetriebene Entwicklung beansprucht in gewisser Weise Richtigkeit, da sie eben die aktuelle sei und sich auf neueste Forschungen in den relevanten Bereichen berufen kann. Dass sie aber auch bestimmte Perspektiven einfach ausblendet, bietet reichlich Gelegenheit zu streitbarer Diskussion!

Walter Riethmüller

 

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